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Nightmare Detective / Akumu Tantei (Shinya Tsukamoto, Japan 2006)

Die noch junge und sehr engagierte Polizistin Keiko (Hitomi) wird mit zwei mysteriösen Selbstmord-Fällen betraut: die beiden Toten hatten sich selbst auf grausamste Weise mit dem Messer selbst zerhackt. Die „Tatorte“ gleichen einem Schlachtfeld. Da bekommt sie heraus, daß beide kurz vor der Tat mit dem Handy telephoniert haben – und beide dieselbe Nummer wählten. Das schürt den Verdacht, daß mehr dahinter steckt. Sie bittet einen verstörten jungen Mann, den Nightmare Detective (Ryuhei Matsuda), der sich in die Träume von Menschen hineinschleichen kann, ihr bei der Suche nach dem tatsächlichen Mörder zu helfen.

Tsukamoto hat seit einiger Zeit in der Independent-Szene einen unanzweifelbaren Status: der Regisseur von TETSUO, dem BODY HAMMER, TOKYO FIST, BULLET BALLET, VITAL, SNAKE OF JUNE, und so weiter – man könnte alle Filme aufzählen –, der für sich die Fortschreibung der japanischen Nouvelle Vague der 60er als Ausgangspunkt sieht, hat die Filmszene mit seinen Beiträgen zum Mensch-Maschine-Großstadt- Entfremdungs-Komplex maßgeblich bestimmt. So ist jeder Film ein heiß erwarteter Kandidat – mittlerweile auch auf den Festivals. Auf den kleineren sowieso. Und obwohl seine jüngeren Werke weniger drastisch daherkommen, sind sie nicht weniger intensiv. Wer daran zweifelt, der schaue sich HAZE an. So ist auch NIGHTMARE DETECTIVE, zu dem Teil 2 bereits geplant ist, ein unglaublich intensives Brett von einem Film.

Denn eines macht dieser etwas kommerziellere Film Tsukamotos sicher nicht: Gefangene. Teilweise unglaublich brutal, schnellst geschnitten und ein ohrenbetäubend heftiges Sounddesign bündeln sich zu einer Reise ins Unterbewußte und in die Träume junger Großstädter, die den Willen zu Leben verloren haben. Zu sehen gibt es düstere Räume, schlecht beleuchtete Gänge, dreckige Flure, Keller, Neonlicht, Großstadtansichten, Metall, Beton, Autobahnen, Züge. Einmal kurz sogar gewährt die Erinnerung einen Ausflug in die Kindheit, da erscheint plötzlich eine grüne Wiese, Sonne, Wolken, die lächelnde Familie; und dieser Kontrast ist schlicht schockierend. Danach der Schnitt und Tsukamoto haut uns eine unglaubliche Verfolgungssequenz um die Ohren, die wohl nicht umsonst an Kubricks SHINING erinnert.

Der Schwachpunkt sei ebenso angesprochen: mit zunehmender Laufzeit bekommt die Verkörperung der Killers „0“ (Tsukamoto selbst) ein Gesicht, bzw. einen Körper. Und genau dieses Zeigen des Ungeheuerlichen nimmt ihm viel von seinem Schrecken. Eine Darstellung des organischen Leibes beraubt den Zuschauer der Möglichkeit, sich den Horror selbst vorzustellen, der in der Ungewißheit des Unbekannten am schlimmsten gedeihen kann. Nun ja, ein weiterer Punkt wäre die Fixierung der Kamera auf Hitomis Beine, die zugegebenermaßen fantastisch sind, aber dennoch immer wieder so voyeuristisch ins Bild gesetzt werden, daß sich ein unmotiviertes sleaziges Moment in den Film schleicht. Auch scheint sie von ihrer Rolle manchmal etwas überfordert zu sein, und agiert etwas blaß. Daß der Nightmare Detective ein sympathischer Emo-Loser-Boy wie aus dem Buche ist, versteht sich von selbst – fast wähnt man sich in DEATH NOTE.

Dennoch sind das kleinere Kritikpunkte in einem ansonsten fulminanten Schocker. Der Mann weiß, wie man Spannung aufbaut. Ein sehenswerter Film.

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