Direkt zum Hauptbereich

CHAOS / Saam bat gun (Herman Yau, HK 2008)


In einer postapokalyptischen Zeit sind die Innenstädte der Metropolen zu Gefängnissen deklariert und mit hohen Schutzwällen ummauert worden, sodaß die darin gefangenen Verbrecher vom Rest der Gesellschaft isoliert werden konnten. Diese führen (in verschiedenen Banden organisiert) ein von jeder Zivilgesellschaft befreites, unmoralisches Gewaltregime, dem sich die Schwächeren (was hier vor allem heißt: die Frauen) unterzuordnen haben. Als ein Polizist (Andrew Lin) mitsamt gefangen genommenem Ganoven (Gordon Lam) durch einen Unfall ins Innere der Festung eindringt, ist der Weg nach draußen ins normale Leben zurück scheinbar versperrt; zudem geraten die beiden in vertauschten Rollen in die Hände des grausamen Bandenchefs Crow (Alex Chan), der sie zu einem Kampf auf Leben und Tod zwingt. Da mischt sich eine unbekannte Schönheit ein, die jedoch ihren eigenen Racheplänen nachjagt. Doch damit nicht genug, wird nun plötzlich der Ausbruch eines tödlichen Virus' im Gefängnis zum Beschleuniger des Geschehens.

Herman Yau hat in seinem bislang gar nicht so langen Regisseursdasein bereits um die 70 Filme gedreht. Dass da nicht nur Meisterwerke dabei sind, dürfte klar sein, und seine bekanntesten Filme EBOLA SYNDROME, THE UNTOLD STORY oder der jüngere GONG TAU sind vor allem durch gewalttätige und groteske Szenen zu zweifelhaftem Ruhm gelangt. Das sicherlich auch zu Unrecht, denn gerade ein Film wie EBOLA SYNDROM hat sehr viel mehr zu bieten als nur den Meat für den Fleischmob. Meine Hoffnung ist immer noch, dass Yaus Filme dem gemeinen "Gorebauern" zu sperrig sind, um sie hirnausgeschaltet goutieren zu können. Immerhin ist Herman Yau auch der Regisseur, der Anthony Wong zu seinen beeindruckendsten darstellerischen Leistungen gebracht hat.

Nun denn. CHAOS hingegen mutet wie ein schnell runtergekurbelter Actioner an, dem man sein niedriges Budget beinah in jeder Einstellung ansieht. Auch die Cinematographie ist nicht gerade von Gottes Gnaden, doch immerhin ist alles auf ein hohes Tempo hin geschnitten, die Handlungsfäden verquirlt genug, um ständig einen actionreichen Ablauf zu garantieren. Die eine oder andere Sexszene fällt dann jedoch unterdurchschnittlich aus, leider - und dies wirkt wie eine Zwangsnotwendigkeit, nicht wie die krude Eruption eines kreativen Künstlertums an der Schwelle zur Avantgarde.

Dieser verkappte KLAPPERSCHLANGEN-/Seuchen- und Polizeithriller funktioniert, so meine These, nur aufgrund der großen Routine des Regisseurs, der mit seinen inszenatorischen Fähigkeiten diesen gefilmten Abenteuerspielplatz für Gotcha-Freaks zwar nicht zu Gold, doch immerhin zu einem schnellen Abendunterhaltungsfilm für abgehärtete Genreliebhaber macht.

Beliebte Posts aus diesem Blog

Tora-san: Our Lovable Tramp / Otoko wa tsurai yo / Tora-San 1 (Yoji Yamada, Japan 1969)

Nach zwanzig langen Jahren des Umherstreifens kehrt Torajiro (Kiyoshi Atsumi) nach Hause zurück: nach Shibamata, einem Vorort von Tokyo. Seine Schwester Sakura (Chieko Baisho) lebt mittlerweile bei Onkel und Tante, da die Eltern verstorben sind. Dort wird er mit offenen Armen empfangen, auch wenn alle wissen, was er für ein Herumtreiber ist. Sakura steht kurz vor der Hochzeit mit dem Sohn eines reichen Industriellen. Somit wäre für ihre Absicherung gesorgt. Zum gemeinsamen Essen mit dessen Eltern nimmt sie Tora als Begleitung mit; das allerdings war ein Fehler: in fantastisch kopfloser Weise betrinkt er sich und ruiniert mit seiner gespielten weltläufigen Gesprächsführung die Zusammenkunft - er verstößt in jeder Form gegen die gebotene Etiquette. Wie er auch im Folgenden, wenn er sich in die Brust wirft, um etwas für andere zu regeln, ein pures Chaos schafft und alles durcheinander bringt. Der Film allerdings ist keine reine Komödie. Denn Tora werden die Verfehlungen vorgehal

Abschied

Micha hat diesen Blog fast 15 Jahre mit großer Leidenschaft geführt. Seine Liebe zum asiatischen Kino hat ihn in dieser Zeit in Kontakt mit ganz unterschiedlichen Menschen gebracht. Viele von euch waren ihm, wenn auch nicht räumlich, so doch gedanklich und emotional sehr nah. Jetzt ist er am 30.12.2021 zuhause in Bonn gestorben. Ich habe mich entschlossen, Michas Schneeland-Blog auch in Zukunft nicht offline zu stellen. So können Interessierte weiterhin all die klugen, detailgenauen und begeisternden Gedanken zum asiatischen Kino nachlesen, die er über die Jahre festgehalten hat.  Neben seinem Blog hatte Micha 2021 noch ein neues Projekt aufgenommen: Gemeinsam mit der Videokünstlerin Sandra Ehlen und Thomas Laufersweiler von SchönerDenken hatte er begonnen, in einem Podcast das filmische Werk von Keisuke Kinoshita zu besprechen. 25 Beiträge sind so bis zu Michas Tod im Dezember noch entstanden. Alle zwei Wochen erscheint nun eine Folge dieser Kinoshita-Reihe. V ielleicht eine schöne

No Blood Relation / Nasanunaka (Mikio Naruse, Japan 1932)

Der etwa ein Jahr vor Apart from You entstandene Film Nasanu naka , Naruses erster Langfilm, ist unter den noch verfügbaren Stummfilmen eine deutlich ungehobeltere Produktion, als dessen recht bekannter Nachfolger. Schon die Eröffnungssequenz ist ein richtiger Tritt vor die Brust. Mit schnellen Schnitten und agiler Kamera wird die turbulente Verfolgung eines Taschendiebes gezeigt. Bevor der Dieb später auf offener Straße, so die komödiantische Auflösung, die Hosen herunterlässt um seine Unschuld zu beweisen (übrigens sehr zum Amusement der ebenfalls anwesenden jungen Damen, die aus dem Kichern nicht mehr herauskommen). Die Eröffnung aber ist gleich ein radikaler Reißschwenk über eine Straßenszene hinweg, hinein in eine schreiende Schrifttafel mit dem Ausruf: DIEB! Hier die Sequenz: Darauf die Verfolgung des Taschendiebes durch die alarmierten Passanten, die von der Straße zusammenkommen oder aus den umliegenden Geschäften herausstürzen, alles mit schnellen Schnitten m