Direkt zum Hauptbereich

Same Same But Different (Detlev Buck, D 2010)

Der junge deutsche Backpacker Ben lernt auf seiner Asienreise in einer Disko in Phnom Penh die hübsche Kambodschanerin Sreykeo kennen und verkuckt sich in sie. Dass sie als Prostituierte arbeitet - sie selbst bezeichnet sich als Unternehmerin - und, wie sich später herausstellt, HIV-positiv ist, stellt den jungen Mann vor ungeahnte emotionale Probleme als er bemerkt, dass er sich in sie verliebt hat.

Bucks Film ist ein zweischneidiges Schwert. Zunächst zum Negativen: er steckt voller Klischees. Das fängt bei der Eröffnungsszene an mit dem Stromkabelgewirr am Telegrafenmasten, dem Elefanten, dem Trubel der Stadt, dem Chillen und Partymachen der Touristen, dem Lendenrock des Alten. Der Film ist außerdem völlig konventionell erzählt inklusive einer Rückblicksschleife am emotionalen Höhepunkt des Skype-Gesprächs und einer wenig begeisternden Kameraarbeit: an einer Stelle hat man sogar die Stirn, einen Christopher Doyle-Schuß imitieren zu wollen. Aua.

Das Tolle am Film ist aber, dass er einen Schwebezustand erreicht, der sich vielleicht am ehesten mit dem Begriff Neutralität bezeichnen läßt. Buck schlägt sich auf keine Seite: er moralisiert nicht. Wie die kulturellen Unterschiede, so stellt er die Erwartungen auf eine mögliche Liebesbeziehung in ihren beiden je eigenen gesellschaftlichen Kontexten dar: die des urlaubenden Deutschen und die des Mädchens ohne Sicherheiten. Hervorragend wie Buck sowohl die Probleme als auch die Magie des Verliebens auf diesem schmalen, äußerst zerbrechlichen Grad balancieren läßt.

Auch dass er es hinbekommt, seinen Film so gut wie vollkommen kitschfrei zu halten, ist ihm hoch anzurechnen. Klischee ja, Kitsch nein. Diese "nüchterne" Form der Erzählung macht dieses für exotische Arthausphantasien prädestiniertes Liebesmelodram nicht nur erst genießbar, sondern emotional anknüpfbar.
Man überläßt sich so erst emotional Film, legt Verweigerungshaltungen ab. Prägnant etwa die o.g. Szene des Skype-Chats, in welchem sie ihm von ihrer HIV-Infektion erzählt - übrigens überhaupt kein Gedanke eines Verheimlichens ihrerseits. Die Kamera ist dann ganz bei ihm, auf seinem Gesicht spiegelt sich sowohl die Angst um eine mögliche eigene Ansteckung wieder, als auch die Angst um sie. Für Worte ist aber kein Platz, da klickt sie sich weg. Nun würde jeder Kitschfabrikant diese Situation, Bens Gang zum Arzt, die Verkündung des Testergebnisses, moralische Überlegungen usw, für den Film ausschlachten um Wirkung zu erzeugen. Buck jedoch nicht. Der schneidet nach einer kurzen Zwischenszene, die Bens Verwirrung und gleichzeitige emotionale Souveränität dokumentiert, direkt nach Phnom Penh, wohin er wieder gereist ist und wie beiläufig bekommt man mit, dass er selbst negativ ist. Fabelhaft.

Ein endgültiges Urteil mag ich mir nicht abringen - wenn man aber halbwegs mit den Klischees und der ästhetischen Konventionalität des Filmes zurecht kommt, kann man einiges in diesem Film entdecken. Und sich dann auch rühren lassen.

Beliebte Posts aus diesem Blog

Tora-san: Our Lovable Tramp / Otoko wa tsurai yo / Tora-San 1 (Yoji Yamada, Japan 1969)

Nach zwanzig langen Jahren des Umherstreifens kehrt Torajiro (Kiyoshi Atsumi) nach Hause zurück: nach Shibamata, einem Vorort von Tokyo. Seine Schwester Sakura (Chieko Baisho) lebt mittlerweile bei Onkel und Tante, da die Eltern verstorben sind. Dort wird er mit offenen Armen empfangen, auch wenn alle wissen, was er für ein Herumtreiber ist. Sakura steht kurz vor der Hochzeit mit dem Sohn eines reichen Industriellen. Somit wäre für ihre Absicherung gesorgt. Zum gemeinsamen Essen mit dessen Eltern nimmt sie Tora als Begleitung mit; das allerdings war ein Fehler: in fantastisch kopfloser Weise betrinkt er sich und ruiniert mit seiner gespielten weltläufigen Gesprächsführung die Zusammenkunft - er verstößt in jeder Form gegen die gebotene Etiquette. Wie er auch im Folgenden, wenn er sich in die Brust wirft, um etwas für andere zu regeln, ein pures Chaos schafft und alles durcheinander bringt. Der Film allerdings ist keine reine Komödie. Denn Tora werden die Verfehlungen vorgehal

Abschied

Micha hat diesen Blog fast 15 Jahre mit großer Leidenschaft geführt. Seine Liebe zum asiatischen Kino hat ihn in dieser Zeit in Kontakt mit ganz unterschiedlichen Menschen gebracht. Viele von euch waren ihm, wenn auch nicht räumlich, so doch gedanklich und emotional sehr nah. Jetzt ist er am 30.12.2021 zuhause in Bonn gestorben. Ich habe mich entschlossen, Michas Schneeland-Blog auch in Zukunft nicht offline zu stellen. So können Interessierte weiterhin all die klugen, detailgenauen und begeisternden Gedanken zum asiatischen Kino nachlesen, die er über die Jahre festgehalten hat.  Neben seinem Blog hatte Micha 2021 noch ein neues Projekt aufgenommen: Gemeinsam mit der Videokünstlerin Sandra Ehlen und Thomas Laufersweiler von SchönerDenken hatte er begonnen, in einem Podcast das filmische Werk von Keisuke Kinoshita zu besprechen. 25 Beiträge sind so bis zu Michas Tod im Dezember noch entstanden. Alle zwei Wochen erscheint nun eine Folge dieser Kinoshita-Reihe. V ielleicht eine schöne

Kandagawa Wars / Kandagawa Inran Senso (Kiyoshi Kurosawa, Japan 1983)

Zwei aufgedrehte Mädels beobachten mit ihren Ferngläsern des Nachts nicht nur die Sterne am Firmament, nein, sondern auch den Wohnblock auf der anderen Seite des Flusses gegenüber. Dort nämlich spielt sich Ungeheuerliches ab: ein junger Mann, der sich für Godard, John Ford, Deleuze und seine Querflöte interessiert, wird von seiner Mutter in regelmäßigen Abständen zum Geschlechtsverkehr gezwungen. Diese inzestuöse Schweinerei können die beiden nicht mehr länger tolerieren und so planen sie, den Unterdrückten aus seiner Sexhölle zu befreien - um ihn selbst zu besteigen, quasi als Heilmittel. Dabei haben sie nicht bedacht, dass der junge Herr vielleicht sogar ganz glücklich war mit seinem Muttersöhnchenstatus. Einmal fremdgegangen, will er sich direkt von der Brücke stürzen. Zudem wäre auch im eigenen Bette zu kehren: denn eine der beiden aufgeweckten Freiheitskämpferinnen wird selbst recht ordenlich unterdrückt. Ein ekliger Brillentyp, sowas wie ihr Freund, besteigt sie in unersättli