Direkt zum Hauptbereich

Lost in the Mountains (Hong Sang-soo, Südkorea 2009)


Hong Sang-soo dürfte vielen von seinen frühen Filmen her ein Begriff sein: THE DAY THE PIG FELL INTO THE WELL und THE POWER OF KANGWONG PROVINCE. Zwei Filme, über die auch schon einiges geschrieben wurde. 2008 kam der wunderbare LIKE YOU KNOW IT ALL heraus (über den ich hier etwas gechrieben habe), und nun finden wir ihn in der exquisiten Gesellschaft von Naomi Kawase und Lav Diaz wieder - nämlich auf der Compilation VISITORS, der "Jeonju Digital Project"-DVD des JeonJu International Filmfestivals, das jedes Jahr drei ausgesuchten Regisseuren die Produktion eines 30minütigen Kurzfilms ermöglicht.

Die Themen sind wieder typisch für Hong: Intellektuelle, Liebe, Alkohol. Eine junge Schriftstellerin aus Seoul besucht eine alte Freundin in Jeonju und stellt dabei fest, dass diese eine Beziehung zu ihrem ehemaligen Literaturprofessor, seines Zeichens nun erfolgreicher Schriftsteller und der pikanterweise auch ihr ehemaliger Geliebter ist, begonnen hat. Sie tröstet sich mit einem anderen ehemaligen Lover, einem jungen Nachwuchsschriftsteller, der gerade einen Preis gewonnen hatte. Ihr ehemaliger Professor hasst ihn, da er in ihm einen dreisten Plagiator seines eigenen Werkes wähnt. Nach mehreren konflikvollen Konfrontationen treffen alle zufällig in einem Lokal aufeinander und die Situation eskaliert.

Das hört sich nach nichts Besonderem an, doch Hong hat ein Talent dafür, eine Geschichte kunstvoll zu entfalten, sodaß sich die Beziehungen und Konflikte dem Rezipienten erst nach und nach erschließen. Das ist spannend und unterhaltend. Das Faszinierende liegt auch darin, dass Hong keiner ist, der durchästhetisierte Bilder sucht. In eher alltäglichen Situation, vor ordinären Backgrounds positioniert er seine Figuren und verweigert jeden kunstgenüsslerischen Zugang. Seine Schwenks sind obskur, seine Zooms überraschend - Stilmittel, die er häufig anwendet um den Blick zu lenken; und dabei doch ungewöhnlich, wenn die Kamera erst etwas völlig Unwichtiges im Blick hat, um dann auf das eigentliche Aktionszentrum einzuschwenken, "die Handlung" in den Blick zu nehmen. LOST IN THE MOUNTAINS hat mir sehr gut gefallen als Film über die Krise einer jungen Frau, die aus einer melancholischen Stimmung heraus ihre mittlerweile biographischen Vergangenheits - Fragmente besucht.

Beliebte Posts aus diesem Blog

Tora-san: Our Lovable Tramp / Otoko wa tsurai yo / Tora-San 1 (Yoji Yamada, Japan 1969)

Nach zwanzig langen Jahren des Umherstreifens kehrt Torajiro (Kiyoshi Atsumi) nach Hause zurück: nach Shibamata, einem Vorort von Tokyo. Seine Schwester Sakura (Chieko Baisho) lebt mittlerweile bei Onkel und Tante, da die Eltern verstorben sind. Dort wird er mit offenen Armen empfangen, auch wenn alle wissen, was er für ein Herumtreiber ist. Sakura steht kurz vor der Hochzeit mit dem Sohn eines reichen Industriellen. Somit wäre für ihre Absicherung gesorgt. Zum gemeinsamen Essen mit dessen Eltern nimmt sie Tora als Begleitung mit; das allerdings war ein Fehler: in fantastisch kopfloser Weise betrinkt er sich und ruiniert mit seiner gespielten weltläufigen Gesprächsführung die Zusammenkunft - er verstößt in jeder Form gegen die gebotene Etiquette. Wie er auch im Folgenden, wenn er sich in die Brust wirft, um etwas für andere zu regeln, ein pures Chaos schafft und alles durcheinander bringt. Der Film allerdings ist keine reine Komödie. Denn Tora werden die Verfehlungen vorgehal

Abschied

Micha hat diesen Blog fast 15 Jahre mit großer Leidenschaft geführt. Seine Liebe zum asiatischen Kino hat ihn in dieser Zeit in Kontakt mit ganz unterschiedlichen Menschen gebracht. Viele von euch waren ihm, wenn auch nicht räumlich, so doch gedanklich und emotional sehr nah. Jetzt ist er am 30.12.2021 zuhause in Bonn gestorben. Ich habe mich entschlossen, Michas Schneeland-Blog auch in Zukunft nicht offline zu stellen. So können Interessierte weiterhin all die klugen, detailgenauen und begeisternden Gedanken zum asiatischen Kino nachlesen, die er über die Jahre festgehalten hat.  Neben seinem Blog hatte Micha 2021 noch ein neues Projekt aufgenommen: Gemeinsam mit der Videokünstlerin Sandra Ehlen und Thomas Laufersweiler von SchönerDenken hatte er begonnen, in einem Podcast das filmische Werk von Keisuke Kinoshita zu besprechen. 25 Beiträge sind so bis zu Michas Tod im Dezember noch entstanden. Alle zwei Wochen erscheint nun eine Folge dieser Kinoshita-Reihe. V ielleicht eine schöne

No Blood Relation / Nasanunaka (Mikio Naruse, Japan 1932)

Der etwa ein Jahr vor Apart from You entstandene Film Nasanu naka , Naruses erster Langfilm, ist unter den noch verfügbaren Stummfilmen eine deutlich ungehobeltere Produktion, als dessen recht bekannter Nachfolger. Schon die Eröffnungssequenz ist ein richtiger Tritt vor die Brust. Mit schnellen Schnitten und agiler Kamera wird die turbulente Verfolgung eines Taschendiebes gezeigt. Bevor der Dieb später auf offener Straße, so die komödiantische Auflösung, die Hosen herunterlässt um seine Unschuld zu beweisen (übrigens sehr zum Amusement der ebenfalls anwesenden jungen Damen, die aus dem Kichern nicht mehr herauskommen). Die Eröffnung aber ist gleich ein radikaler Reißschwenk über eine Straßenszene hinweg, hinein in eine schreiende Schrifttafel mit dem Ausruf: DIEB! Hier die Sequenz: Darauf die Verfolgung des Taschendiebes durch die alarmierten Passanten, die von der Straße zusammenkommen oder aus den umliegenden Geschäften herausstürzen, alles mit schnellen Schnitten m