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Berlinale: A Legend or Was It? / Shito no densetsu (Keisuke Kinoshita, Japan 1963)


Und dann plötzlich kommt diese unerwartete, völlig großartige Szene des Widerstandes: die junge Frau ergreift in Panik das Gewehr, eine Schrotflinte, die Kamera plötzlich von unten aus Kniehöhe, zeigt uns den neuen Helden des Films: sie schreit die Männer an, die gekommen sind um zu morden - und macht dann kurzen Prozeß, drückt ab, verjagt die Dämlacken, diese Dorfbewohner. Plötzlich also ein Bild, wie wenn Meiko Kaji aus einem der Exploitationfilmen der 70er auf der Leinwand erschienen wäre, die sich dazu entschloßen hat, sich nun endlich nichts mehr gefallen zu lassen. Konnte das nur eine Frau tun, die aus Tokyo stammt?

Keisuke Kinoshitas A LEGEND or WAS IT? aus dem Jahr 1963 ist keines der shomingeki - Familiendramen, die mit Leichtigkeit und etwas Bitternis von scheinbar alltäglichen Katastrophen im Kleinen erzählen - er beginnt nur so. Eine Idylle auf Hokkaido, Landarbeiter, Farbfilm. Dann ein Bruch, Schwarzweiß, die Familie aus Tokyo, die vor dem Krieg nach Hokkaido geflüchtet ist, siedelt sich in einer Baracke am Fluß an, kurz vor dem Dorf. Man kennt sie, der Vater stammte aus  der Gegend. Doch auf die Begrüßung fällt ein Schatten: der Sohn war als Soldat im Krieg gegen China (in Sichuan) gewesen und hat zufällig beobachtet, wie drei Offiziere eine Frau abstachen um ein andere zu vergewaltigen. Dies war nun, und sie sahen sich im Regen in die Augen, ausgerechnet der Sohn des Dorfvorstehers. Ein mächtiger Mann, der im Dorf das Sagen hat.

Ein Schock für den Soldaten, und als der Vergewaltiger der eigenen Schwester nachstellt, kommt alles ans Tageslicht. Indes, es nutzt nichts. Als bei einem erneuten Vergewaltigungsversuch der Sohn von den Frauen mit einem Stein erschlagen wird, eskaliert die Situation. Der Mob der Dorfbewohner ist aufgehetzt, die Familie flieht in die Berge. So kommt es zu obiger Szene. Es ist nicht nur die Gewalt, die in die Idylle einbricht, die so schockiert - es ist auch die tumbe Hinterwäldlerbeschränktheit, die die Situation so ausweglos erscheinen lässt. Dass während der Auseinandersetzungen auch Mitglieder der Familie ihr Leben verlieren, wird ausgeblendet. Obwohl der Leichnam mitten im Dorf liegt. Ein eindrückliches Bild für die Manipulierbarkeit der Massen und schlicht dafür, dass es mit dem Verstand der Menschen nicht weit her ist. SHITO NO DENSETSU ist ein schockierender, faszinierender, und zugleich wunderschöner Film, der so manchen Grenze überschreitet und sich ganz schön viel traut. Eine wirkliche Empfehlung.

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Abschied

Micha hat diesen Blog fast 15 Jahre mit großer Leidenschaft geführt. Seine Liebe zum asiatischen Kino hat ihn in dieser Zeit in Kontakt mit ganz unterschiedlichen Menschen gebracht. Viele von euch waren ihm, wenn auch nicht räumlich, so doch gedanklich und emotional sehr nah. Jetzt ist er am 30.12.2021 zuhause in Bonn gestorben. Ich habe mich entschlossen, Michas Schneeland-Blog auch in Zukunft nicht offline zu stellen. So können Interessierte weiterhin all die klugen, detailgenauen und begeisternden Gedanken zum asiatischen Kino nachlesen, die er über die Jahre festgehalten hat.  Neben seinem Blog hatte Micha 2021 noch ein neues Projekt aufgenommen: Gemeinsam mit der Videokünstlerin Sandra Ehlen und Thomas Laufersweiler von SchönerDenken hatte er begonnen, in einem Podcast das filmische Werk von Keisuke Kinoshita zu besprechen. 25 Beiträge sind so bis zu Michas Tod im Dezember noch entstanden. Alle zwei Wochen erscheint nun eine Folge dieser Kinoshita-Reihe. V ielleicht eine schöne