Direkt zum Hauptbereich

HKIFF 2016: Too Young To Die! (Kankuro Kudô, Japan 2016)


Gemessen am geradezu frenetischen Applaus ist Kankuro Kudos neuester Film wie der eines Megastars aufgenommen worden. Was nicht nur daran lag, dass sich ganz offensichtlich viele Japaner im Auditorium befunden haben, sondern auch daran, dass der Regisseur und bekannte Drehbuchschreiber persönlich anwesend war. Eine erste Schockwelle der Begeisterung lief durch den Saal, als er kurz vor Filmbeginn seine Nase kurz durch den Vorhang streckte. Und auch später beim Q&A stellte sich heraus, dass er ein äußerst sympathischer und humorvoller junger Mann zu sein scheint. Und obwohl ich schon seit längerem mit dieser Art Filmkunst aus Japan, die man vielleicht mit dem Schlagwort "nippon madness" beschreiben könnte, nicht mehr allzuviel anzufangen weiß, muss ich gestehen, dass mich dieser völlig weirde Film von der ersten Sekunde an mitgerissen hat. Er ist unfassbar dynamisch, voller Energie, rotzfrech, ohne Hemmungen und trotzdem geschmackvoll, und, ja: total romantisch. Kein Wunder hat das Publikum um mich herum geradezu mehrfach völlig die Fassung verloren.

Bei einem Schulausflug gerät ein Bus ausser Kontrolle und stürzt einen Abhang hinab. Alle Insassen scheinen tragischerweise sofort tot zu sein. Daisuke (Ryunosuke Kamiki aus AS THE GODS WILL und SURVIVE STYLE 5+), der sich gerade in seine Sitznachbarin Hitomi verliebt hat, erwacht kurze Zeit später: aber in der Hölle - zu den verzerrten Riffen der satanistischen Metalband 'Jigoku-zu'. Was ist denn hier passiert?, fragt sich Daisuke zurecht. Und was eigentlich alles genau passiert ist, dieser Spur geht dieser zweistündige Spielfilm nach. Es beginnt zum Beispiel schon damit, dass der Held nicht akzeptieren will, tot zu sein. Ausgerechnet jetzt, wo doch endlich die Sache mit Hitomi losging! Aber wo kann sie stecken? Im Himmel, auf der Erde? Wo soll er nur anfangen zu suchen - und lassen ihn die Dämonen überhaupt ziehen? Wie kommt er hier nur "lebend" wieder raus?

TOO YOUNG TO DIE! ist zu großen Teilen im Studio entstanden. Man wähnt sich in Nobuo Nakagawas Megaklassiker JIGOKU, wie hier in den Requisiten herumgemeuchelt und durch diese hindurch gestrauchelt wird, im Blutteich gebadet, daneben jemand mit einer Säge mittig zerteilt wird. Und wie die höllische Metalband plötzlich auf einer Bühne stehend einen Metalsong hinschmettert! Das ist alles recht kreativ, ein wenig zusammengeklaut, und ja: ziemlich unterhaltsam. Aber immer wieder geht der Film dann auch zurück in den Bus, was dort in den letzten Sekunden passiert ist, sogar in den allerletzten des Fluges, bzw. Absturzes noch. Nur soviel: Es ist überraschend! Und der Gag des Films besteht dann auch darin, dass Daisuke eine Möglichkeit geboten wird, in sechs verschiedenen Reinkarnationen auf die Erde zurück zu kehren, und am Rädchen des Schicksals zu drehen. Man kann sich denken, dass nun allerhand Unfug auf die Leinwand findet. Ob als Seelöwe, Krebs, Spermie, Wellensittich oder vieles mehr versucht er, die Ereignisse für sich zu beeinflussen. Denn eines stellt sich schon recht schnell heraus: Hitomi hat überlebt! Wer wollte da nicht alles dran setzen, um auf die Erde zurückzukehren! Und recht eigentlich ist dieser großartige und völlig durchgeknallte Film im Kern: eine Romanze.

Michael Schleeh

***

Beliebte Posts aus diesem Blog

Tora-san: Our Lovable Tramp / Otoko wa tsurai yo / Tora-San 1 (Yoji Yamada, Japan 1969)

Nach zwanzig langen Jahren des Umherstreifens kehrt Torajiro (Kiyoshi Atsumi) nach Hause zurück: nach Shibamata, einem Vorort von Tokyo. Seine Schwester Sakura (Chieko Baisho) lebt mittlerweile bei Onkel und Tante, da die Eltern verstorben sind. Dort wird er mit offenen Armen empfangen, auch wenn alle wissen, was er für ein Herumtreiber ist. Sakura steht kurz vor der Hochzeit mit dem Sohn eines reichen Industriellen. Somit wäre für ihre Absicherung gesorgt. Zum gemeinsamen Essen mit dessen Eltern nimmt sie Tora als Begleitung mit; das allerdings war ein Fehler: in fantastisch kopfloser Weise betrinkt er sich und ruiniert mit seiner gespielten weltläufigen Gesprächsführung die Zusammenkunft - er verstößt in jeder Form gegen die gebotene Etiquette. Wie er auch im Folgenden, wenn er sich in die Brust wirft, um etwas für andere zu regeln, ein pures Chaos schafft und alles durcheinander bringt. Der Film allerdings ist keine reine Komödie. Denn Tora werden die Verfehlungen vorgehal

Abschied

Micha hat diesen Blog fast 15 Jahre mit großer Leidenschaft geführt. Seine Liebe zum asiatischen Kino hat ihn in dieser Zeit in Kontakt mit ganz unterschiedlichen Menschen gebracht. Viele von euch waren ihm, wenn auch nicht räumlich, so doch gedanklich und emotional sehr nah. Jetzt ist er am 30.12.2021 zuhause in Bonn gestorben. Ich habe mich entschlossen, Michas Schneeland-Blog auch in Zukunft nicht offline zu stellen. So können Interessierte weiterhin all die klugen, detailgenauen und begeisternden Gedanken zum asiatischen Kino nachlesen, die er über die Jahre festgehalten hat.  Neben seinem Blog hatte Micha 2021 noch ein neues Projekt aufgenommen: Gemeinsam mit der Videokünstlerin Sandra Ehlen und Thomas Laufersweiler von SchönerDenken hatte er begonnen, in einem Podcast das filmische Werk von Keisuke Kinoshita zu besprechen. 25 Beiträge sind so bis zu Michas Tod im Dezember noch entstanden. Alle zwei Wochen erscheint nun eine Folge dieser Kinoshita-Reihe. V ielleicht eine schöne

Kandagawa Wars / Kandagawa Inran Senso (Kiyoshi Kurosawa, Japan 1983)

Zwei aufgedrehte Mädels beobachten mit ihren Ferngläsern des Nachts nicht nur die Sterne am Firmament, nein, sondern auch den Wohnblock auf der anderen Seite des Flusses gegenüber. Dort nämlich spielt sich Ungeheuerliches ab: ein junger Mann, der sich für Godard, John Ford, Deleuze und seine Querflöte interessiert, wird von seiner Mutter in regelmäßigen Abständen zum Geschlechtsverkehr gezwungen. Diese inzestuöse Schweinerei können die beiden nicht mehr länger tolerieren und so planen sie, den Unterdrückten aus seiner Sexhölle zu befreien - um ihn selbst zu besteigen, quasi als Heilmittel. Dabei haben sie nicht bedacht, dass der junge Herr vielleicht sogar ganz glücklich war mit seinem Muttersöhnchenstatus. Einmal fremdgegangen, will er sich direkt von der Brücke stürzen. Zudem wäre auch im eigenen Bette zu kehren: denn eine der beiden aufgeweckten Freiheitskämpferinnen wird selbst recht ordenlich unterdrückt. Ein ekliger Brillentyp, sowas wie ihr Freund, besteigt sie in unersättli